Moritz
El Camino, Breaking Bad & Langeweile
Aktualisiert: 21. Okt. 2019
Vorsicht Spoiler für Breaking Bad (und ein bisschen Game Of Thrones)!
1. El Camino – Braucht die beste Serie aller Zeiten ein neues Kapitel?
Als wir im Sommer 2013 gemeinsam im Urlaub in Mailand waren, ist gerade der zweite Teil der letzten Breaking Bad-Staffel erschienen. Um uns also am Tag der Veröffentlichung direkt die Folge „Blood Money“ anzuschauen, sind wir in ein italienisches Internet-Café gegangen und haben an separaten PCs (Prä-Netflix) einen mittellegalen Stream gesucht, bei dem wir alle nur gleichzeitig Play und Pause drücken konnten. Natürlich haben wir es nicht geschafft komplett synchron zu sein, aber all das nahmen wir auf uns um live das Ende der bis heute besten Serie aller Zeiten mitzuerleben. Sechs Jahre später und ein unerwartetes neues Kapitel steht kurz vor Release [1]. Gerade wenn wir dieses Jahr an das desaströse Ende der Erfolgsserie „Game Of Thrones“ denken, kann das Grund zur Sorge geben, denn Breaking Bad hat es als vielleicht einzige Serie geschafft uns ein wirklich schönes Ende zu schenken. Doch auch „Better Call Saul“ konnte die Erwartungen einer Spin-Off Serie weit übertreffen und so gibt es uns doch Hoffnung, dass mit Vince Gilligan und seinem Autorenteam immer noch fähige Leute am Steuer sind, die ihre Charaktere genau kennen und wissen welches große Risiko sie eingehen. Besonders spannend wird zu sehen sein, ob Sympathieträger Jesse Pinkman sein „Happy End“ behält, da er besonders Leidtragender der Handlung Breaking Bads und der Entscheidungen Walter Whites war. Jesse scheint jedoch in den Trailern wieder in kriminelle Machenschaften zu geraten und wie soll man Spannung erzeugen ohne Drama?
Wird Saul eine Rolle spielen? Wird Walter vorkommen? Bereits vor ein paar Jahren gab es absurd gründlich recherchierte Fan-Theorien, dass Walter überlebt haben könnte [2], wir hoffen, dass dies aber nicht der Fall sein wird und wir nicht vor Breaking Bad 2 stehen.
Die Art, wie wir Serien konsumieren, hat sich seit wir in Mailand gestreamt haben komplett verändert und so kennen wir auch beide Leute die den Zeitstrahl auf Netflix mittlerweile nutzen, um die eher langsamen Szenen der ersten Staffeln zu skippen. Die Wartezeiten zwischen den Staffeln und sogar zwischen den Episoden und Szenen werden minimiert. Doch gibt es nicht auch etwas Notwendiges in den langsamen, in den langweiligen Szenen? Brauchen wir die lange Slow-Motion-Aufnahme von Gus Fring bevor er das Altenheim betritt, damit seine Todesszene umso schockierender wirkt? Wäre die Liebesbeziehung zwischen Jon Snow und Daenerys emotional stärker gewesen, wenn sie länger als vier Episoden gedauert hätte? Und wenn ja, was bedeutet das für unser normales Leben? Hat Langeweile einen positiven Sinn in der Philosophie oder Psychologie?
2. Langeweile – Wie erfassen wir den Mittagsdämon?
Wir betrachten die Langeweile aus zwei Perspektiven: Der philosophisch-anthropologischen, die sich damit beschäftigt wie die Langeweile im Wesen des Menschen einzuordnen ist und der psychologisch-neurologischen, die fragt wie Langeweile detektiert und gemessen werden kann.
Generell ist Langeweile ein kultur- und zeitübergreifender Gegenstand der Geistesgeschichte. Bereits Seneca (1-65 n.Chr.) schrieb über das Taedium vitae, den Lebensüberdruss und Thomas von Aquin (1225-1274) beschrieb den Mittagsdämon, eine Metapher für die Acedia, die den Mönch nach sechs Stunden Tag heimsucht.
Blaise Pascal (1623-1662) war einer der wenigen Voraufklärer, der sich ausführlicher mit dem Thema auseinandersetzte. Seine Thesen gingen davon aus, dass der Mensch ohne Gott zum Elend verurteilt sei. In der Langeweile sei es nun, dass der Mensch sich dieser verdammten Situation bewusstwerde und durch den Stillstand eine Vorahnung des Todes bekäme. Deswegen werde Langeweile um jeden Preis vermieden, sogar Sorgen und Schmerzen, so beobachtet es Pascal, werden dieser vorgezogen. Die einzige Lösung die Leere der Gegenwart zu überwinden, wäre sie mit Unendlichkeit zu füllen, also Gott.
Er stellt sich damit in eine Tradition der sehr negativen Einstellungen, die die meisten Philosophen über die Langeweile teilten.
Auch Montesquieu (1689-1755) beobachtete, dass vor allem der Hochadel ohne sinnvolle Tätigkeit unter der Langeweile leide.
Ein populäres Thema der Ideenwelt wurde Langeweile aber erst ab der Aufklärung.
Wer sich sehr prominent z.B. in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ mit dem Thema beschäftigte, war Arthur Schopenhauer (1788-1860).
Schopenhauer reduzierte alles Handeln und Verhalten auf den Willen zum Leben. Jede Tat könne darauf zurückgeführt werden. Dieser Wille erfülle Wünsche und das Handeln solle sie erfüllen. Dieser Wunsch werde aber immer als Mangel empfunden, solange er noch nicht erfüllt sei. Jedem Wollen gehe also ein Leiden voraus. Selbst wenn der Wunsch nun erfüllt werde, wäre man sehr kurz glücklich, da direkt darauf ein neuer Wunsch entstehe. Der Wille zum Leben sei also ein endloses Streben. Glück ist für Schopenhauer also nicht mehr als das kurze Freisein von Leiden.
Was aber wenn der Lebensprozess, der Wunschapparat, aber nun ins Stocken gerät? Dies bezeichnet Schopenhauer nun eben als die Langeweile: In diesen Moment fühle man das Dasein und seinen leeren Inhalt, da es ja nur pendele zwischen Wunsch, Befriedigung und neuem Wunsch. Die Illusion einer an sich gehaltvollen Existenz fliege auf. Die Zeit fühle sich in der Langeweile länger an als im Glück und selbst im Schmerz verginge die Zeit wenigstens schneller. Schopenhauers pessimistischer Schluss daraus: Das Leben ist ein Hin und Her zwischen Leiden und Langeweile mit nur kurzen Glücksmomenten dazwischen.
Den Peak erreicht die Beschäftigung mit der Langeweile dann in der Existenzphilosophie.
Søren Kierkegaard (1813-1855) statuiert in seinem Werk Entweder-Oder (dänisch: Enten Ella): Die Langeweile ist die Wurzel allen Übels. Adam wurde geschaffen aus Langeweile und als Adam langweilig wurde, wurde Eva geschaffen. Auch der Turmbau von Babel, der nach Kierkegaard ein ziemliches dämliches Unterfangen und zum Scheitern verurteilt war, hätte nie stattgefunden, wenn der Mensch sich nicht übertrieben gelangweilt hätte.
Der Langeweile könne man bloß entkommen, indem man sich einer ständigen Wechselwirtschaft und Veränderung unterzieht, wobei er explizit nicht das Reisen mit meint (s/o an alle Backpacker, ihr Loser. Ständige Ortswechsel empfindet Kierkegaard als „vulgär“). Man müsse sich intensiv selbst verändern, jeden Tag mit einem anderen Fuß aufstehen und ständig die innere Perspektive wechseln. Auch bei Martin Heidegger (1889-1976) und Jean-Paul Sartre (1905-1980) war Langeweile ein Thema; Sartre nannte die Langeweile neben dem Ekel als ein objektloses Gefühl für das Dasein.
Was man also feststellen kann, ist, dass in der Tradition der Philosophie doch ein eher negatives Bild der Langeweile entsteht, einmal ihrer selbst wegen und zweitens wegen ihrer Konsequenzen.
3. Langeweile heute
Heutzutage ist die Langeweile eher Gegenstand der Psychologie, Soziologie und der Neurowissenschaften geworden (natürlich gibt es auch Ausnahmen, z.B. die Philosophieprofessoren Andres Elpidorou & Friedhelm Decher). Trotz des universellen Verständnisses des Langeweile-Begriffs besteht immer noch eine hohe Uneinigkeit in der Wissenschaft wie sie zu definieren und messen ist.
Das stellte die Forscher in ihren Studienmodellen vor die Herausforderung Langeweile unter Laborbedingungen zu rekonstruieren. Dabei ist es wichtig, dass man nicht einfach herumsitzt oder liegt, da man so schnell ins Gedanken wandern kommt und somit der eigentlichen Langeweile entflieht. Die Beschäftigungen, die einen davon abhalten sollen, reichen von Telefonbüchern vorlesen bis Fischzucht Videos zu zeigen [3] oder das angeblich langweiligste Video der Welt, indem zwei Männer gemeinsam Wäsche aufhängen [4].
In einer Metaanalyse hat Quentin Raffaelli versucht die Korrelationen zu finden, die in verschiedenen Studien zum Thema Langeweile entdeckt wurden. Dabei zählt er die gemeinsamen Nenner auf: Verringerte Aufmerksamkeit, anderes Zeiterleben, ziellose Gedanken, gesteigerter Affekt und Arousal und vor allem eine negative Bewertung des Zustands der Langeweile. Der körperliche Arousal konnte auch objektiv erfasst werden: Die Herzfrequenz steigt, der Hautwiderstand sinkt und Cortisol, das Stresshormon, steigt an. Thomas Goetz von der Universität Konstanz argumentiert, dass es fünf verschiedenen Arten an Langeweile gibt, auch eine Art neutrale Langeweile, in der es weder zu körperlichem Arousal noch zu einer negativen Bewertung des Zustands kommt. Diese Meinung ist aber weiterhin umstritten [5].
Um zeitlich besser differenzieren zu können, wurden auch die EEG-Wellen gemessen während der Langeweile, die aber nur zwischen Aufmerksamkeit (beta-Wellen) und Entspannungszustand (alpha-Wellen) unterscheiden können.
Neurologisch interessanter noch war jedoch, dass bestimmt Bereiche im Gehirn aktiviert werden, wenn der Mensch sich langweilt. Diese Bereiche, die im funktionellen MRT entdeckt werden konnten, nennt man Default Mode Network [5]. Bis um die Jahrtausendwende dachte man noch, dass das Gehirn entweder mehr oder weniger arbeitet, seit der Entdeckung des DMN weiß man jedoch, dass das Gehirn nie ruhig ist, egal, ob der Mensch aktiv oder inaktiv ist. James Danckert konnte bei Schädel-Hirn-Trauma-Patienten eine Korrelation zwischen Langeweile und diesem DMN entdecken [6]. Aber auch sonst wird das DMN viel erforscht: Es scheint weniger Konnektivität zu entwickeln bei Alzheimer Patienten, eine schlechtere Konnektivität korreliert mit affektiven Erkrankungen und es scheint eine Rolle zu spielen in der Pathophysiologie des ADHS [7].
Langeweile, so scheint es, geht auch in der Psychologie oft mit schlechten Konsequenzen einher: Menschen, die gelangweilt sind, essen mehr & ungesünder [8], rauchen häufiger, leiden öfters unter Alkoholabhängigkeit und radikalisieren schneller ihre Ideologien. Doch auch wenn eine klare Verbindung zur Depression besteht, und viele depressive Patienten Langeweile als besonders quälend empfinden, ist es wichtig sie differenziert von ihr zu betrachten [9].
Doch in unserer Gesellschaft hat sich die Konnotation der Langeweile verändert zu haben, woran liegt das?
4. Wofür brauchen wir Langeweile?
Langeweile wird mittlerweile fast wie sowas wie ein Luxus gesehen. Da wir immer mehr von der modernen Gesellschaft und Digitalisierung dauerstimuliert werden, sprechen sich viele für die Wiederentdeckung der Langeweile aus.
Und tatsächlich werden auch in der Wissenschaft, z.B. von Dr. Sandi Mann in ihrem Buch „The Upside of Downtime: Why Boredom is good“, immer mehr die positiven Aspekte der Langeweile, Handlungsmotivation und möglicher Impuls von Kreativität, unterstrichen. Es ist „der aversive Zustand des Wollens“, der uns dazu zwingt uns eine befriedigendere Aktivität zu suchen, ein adaptives, hochfunktionales Gefühl. Durch Smartphones oder soziale Netzwerke wird diese Gelegenheit einem immer weniger bewusst.
In der Literatur wurde Langeweile interessanterweise schon länger positiv bewertet. Harald Martenstein fährt nur an Urlaubsorte mit schlechten Google-Bewertungen und ohne Sehenswürdigkeiten um sich dort zu langweilen. „Langeweile ist wie high sein.“, schreibt er [10].
Auch Thomas Mann beschreibt in „Der Zauberberg“ wie der Protagonist Hans Castorp der Verführung der Langeweile verfällt und sich sein Zeitempfinden immer stärker verändert. Auch die bereits erwähnten Existentialisten wie Sartre in „Der Ekel“ oder Albert Camus in „Der Fremde“ spielen mit diesem Thema nicht nur als Inhalt, sondern auch als Stilmittel (weitere Beispiele wären Georg Büchners „Leonce und Lena“ oder Samuel Becketts „Warten auf Godot“).
Breaking Bad greift dieses Thema am wahrscheinlich deutlichsten auf in der zehnten Episode der dritten Staffel „Fly/Fliege“. Die auf Imdb am schlechtesten bewertete Episode [11], unter Regie von Rian Johnson (Regisseur der bestbewerteten Episode „Ozymandias“ und des polarisierenden „Star Wars - The Last Jedi“), hat sich mittlerweile jedoch zum Fan-Liebling gemausert.
In der Folge passiert relativ wenig: Walter und Jesse gehen ins Labor und versuchen eine Fliege zu erwischen, die eine Kontamination des Meth bedeuten könnte. Während man anfangs noch glaubt, dass die Folge irgendwo hinführt oder etwas Besonderes passieren könnte, wird man sich irgendwann bewusst, dass dies tatsächlich der ganze Inhalt der Folge sein wird. Es handelt sich um eine sogenannte „Bottle-Episode“, eine Folge, die nur an einem Standort spielt und oft genutzt wurde um Budget einzusparen [12].
Doch wie die Charaktere ein kurzes Innehalten nutzen um sich ihrer Situation bewusst zu werden und sie zu reflektieren (Walter fragt sich, ob er nicht einfach früher hätte sterben sollen), bekommt auch der Zuschauer die Chance sich länger auf die Charaktere einzulassen und sie als dreidimensionale Figuren wahrzunehmen. Ob diese Möglichkeit auch bestehen wird bei einem Zwei Stunden Film wie El Camino? Wie werden die Autoren dieses neue Medium nutzen, wie werden sie mit den Zeitunterschieden spielen?
Susan Sonntag jedenfalls behauptet: Ihre Lieblingskunst sei die, die langweilig sei. Die Fliegen-Episode ist ein perfektes Beispiel für Kunst, die gut und langweilig zugleich sein kann.
Songauswahl:
Luca:
Tamacun von Rodrigo y Gabriela
4‘33‘‘ von John Cage
Langeweile von Hannes Wader
Moritz:
Line Of Fire von Junip
Etudes No.2 von Philip Glass, gespielt von Vikingur Olafsson
God Bless The Child von Stevie Wonder (s/o Dissect Podcast, [13])
Quellen:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=1JLUn2DFW4w
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Yb4nKFKKcGQ
[4] https://www.youtube.com/watch?v=s34zGmq3rXQ
[5] Raffaelli, Q., Mills, C. & Christoff, K. Exp Brain Res (2018) 236: 2451. https://doi-org.emedien.ub.uni-muenchen.de/10.1007/s00221-017-4922-7
[6] Traumatic brain injury, boredom and depression.
Goldberg Y, Danckert J. Behav Sci (Basel). 2013 Sep; 3(3):434-44. Epub 2013 Aug 2
Akansha Mohan, Aaron J. Roberto, Abhishek Mohan, Aileen Lorenzo, Kathryn Jones, Martin J. Carney, Luis Liogier-Weyback, Soonjo Hwang, Kyle A.B. Lapidus
Yale J Biol Med. 2016 Mar; 89(1): 49–57. Published online 2016 Mar 24.
[8] Eaten up by boredom: consuming food to escape awareness of the bored self https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4381486/
[9] van Tilburg, W. A. P., & Igou, E. R. (2017). Boredom begs to differ: Differentiation from other negative emotions. Emotion, 17(2), 309-322.
[10] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/nach-den-grossen-ferien-es-war-so-schoen-in-der-langeweile/163478.html
[11] https://www.imdb.com/title/tt1615550/
[12] https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=9174
[13] https://open.spotify.com/episode/0ppuZTQuQJzC2tgBOXaFbm?si=tYWMsdIhRrChfNtuyBWpbA
