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  • AutorenbildMoritz

Deutschrap & Toxic Masculinity

Aktualisiert: 18. Nov. 2019

1. Traditionelle Männerbilder im Deutschen Hip-Hop


Als treue Hip-Hop Heads, die wir sind, waren wir dieses Jahr mal wieder auf dem Splash! und erlebten dort einen, sagen wir, erhellenden Moment. Auf dem wahrscheinlich vollsten Konzert des Festivals, dem Trettmann Konzert, wurde während des Songs „Knöcheltief“ ein großes Bild von Gzuz von der 187 Straßenbande an die Leinwand projiziert. Dies fühlte sich extrem seltsam an, da kurz zuvor die Anschuldigungen gegen Gzuz wegen häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung öffentlich gemacht wurden und nun seiner Projektion um die 10.000 junge Fans enthusiastisch zujubelten. Nun ist es nicht unser Recht und auch nicht unsere Intention zu urteilen, ob es sich bei den Vorwürfen um legitime Anschuldigungen handelt; genauso wenig beurteilen wir irgendjemanden. Eher interessiert uns, wieso ein solches Männerbild von den Künstlern und Fans gefeiert wird, nicht nur im Deutschrap-Kosmos, sondern auch in unserer Gesellschaft.

Es gibt bereits einen sehr guten und interessanten Podcast zu Deutschrap und Sexismus des WDR Cosmo Podcast Machiavelli mit Salwa Houmsi [1], den wir empfehlen möchten, wir konzentrieren uns jedoch auf das Thema Deutschrap und Toxic Masculinity, was nochmal davon abzugrenzen ist.

Ein weiteres Beispiel hierfür, das in den letzten Monaten medial besprochen wurde, ist der Beef zwischen Animus und Manuellsen. Animus nannte es ayb (türkisch, „Schande“), dass sein eigentlich guter Freund Manuellsen die eigene Ehefrau im Musikvideo im Bikini tanzen ließ (was besonders absurd wird, wenn man sich Animus Art und Cover für sein Album Purpur ansieht, nur die eigene Frau darf sowas nicht). Manuellsen fühlte sich davon so in seiner Ehre verletzt, dass er nicht mehr neben seiner Ehefrau schlief bis er Animus persönlich körperlich wieder zurückzahlen konnte [2].

Am wahrscheinlich prägnantesten kann man die Auswirkungen traditioneller Männerbilder im Deutschrap aber wohl am Beispiel von Kollegahs und seiner Alpha-Armee beobachten [3]. Kollegah hat ein Mentoringprogramm gegründet für seine Fans um „ein echter Alpha“ zu werden. Hier geben hauptsächlich junge Männer zweitausend Euro aus um vom „Boss“ erklärt zu bekommen, was es bedeutet ein wahrer Mann zu sein: Gestählter Körper, keine Schwäche zeigen, Erfolg haben, die Familie versorgen. „Mach den Tag zu deiner Bitch.“ Wenn man Johann Voigts Artikel liest, fällt einem schnell von außen betrachtet auf, dass es sich um psychisch labile, ziellose junge Männer handelt, die mit dem Erwartungsdruck der modernen Zeit nicht klarkommen und nach einer führenden Hand suchen. Die traditionellen Rollenbilder, die hier allerding wiederum verstärkt werden, scheinen sie jedoch weiter zu belasten als sie zu ermächtigen und wenn uns die Vermutung gestattet sein darf: Auch Kollegah selber wirkt in der Außenwirkung in letzter Zeit immer rastloser, unglücklicher und aggressiver, da er es nicht schafft diesem perfekten Bild des Alphamanns gerecht zu werden.

Es ist unmöglich dieses fehlerfreie Mannsein zu erreichen, niemand kann immer perfekt seine Ehre verteidigen, immer mutig und risikobereit sein, man lebt ständig unter seinen eigenen Erwartungen.

Doch auch vor radiofreundlicherem Studentenrap macht dieses toxische Verhalten keinen Halt. Die Stereotypen vom Losertyp, der sauer auf seine Ex ist, weil sie einen anderen Mann gefunden hat, finden sich vor allem oft auch in der Musik von Kraftklub wieder. So bekam Felix Brummer (oder auch Kummer, Rapper der Band Kraftklub) schon medial Kritik, z.B. von Seiten Jennifer Rostocks, dafür dass, er eine nicht genauer spezifizierte Ex-Freundin in seinen Texten „Du gottverdammte Hure“ nannte [4]. Die Bandmitglieder relativierten durch Erklärung eines lyrischen Ichs und entschuldigten sich auch später. Doch auch andere Lyrics zeigen, worum es auch in diesen Bereichen eigentlich geht, wenn man einen wütenden Song über die Ex-Partnerin schreibt: Konkurrenzkampf um den eigenen Besitzanspruch.

Kraftklub, Mein Rad:

Felix spricht zum „Fahrraddieb“, dem neuen Freund seiner Verflossenen. Andere Rapper, die man vielleicht auch mal bei 1Live hören kann, leiden ebenfalls unter diesen kulturell geprägten, traditionellen Geschlechtervorstellungen: Cro („Computiful“), Bausa („Vossi Bop Remix“), Kontra K („Wölfe“), etc.

Während es zum Stilmittel eines Farid Bangs gehört „viele Bitches zu ficken“, werden die Lyrics dieser Künstler ohne Metaebene wahrgenommen und sind gerade in ihrer Subtilität problematischer, da sie die traditionellen Rollenbilder so unterbewusst indoktriniert haben, dass sie sie somit auch unterbewusst verstärken.

2. Was bedeutet Toxic Masculinity? Was ist Männlichkeit?

Spätestens seit der Veröffentlichung des Gillette Werbespots, in dem Auswirkungen der toxischen Männlichkeit kritisiert werden und eine Veränderung des Rollenbilds vorgeschlagen wird, und dem darauffolgenden Shitstorm in den sozialen Medien [5], ist Toxic Masculinity ein polemisch diskutierter Begriff. Wir versuchen uns an einer Herleitung der Definition.

Traditionelle Männlichkeit (im Vergleich zu anderen Arten von Masculinities) wird in unserem heutigen westlichen Kulturkreis definiert als kulturelle Stereotypie, gekennzeichnet durch Erfolg, Leistung, Härte, Macht, Distanz, Konkurrenz und Kampf; so die Bundeszentrale für politische Bildung. Die American Psychology Association (APA) zählt zudem die Eigenschaften auf: Anti-Weiblichkeit, Leistung, keine Schwäche zeigen, Abenteuer, Risiko und Gewalt, Emotionslosigkeit, Dominanz über Frauen, Unabhängigkeit, Mut, Mündigkeit, Ehre verteidigen usw.

Bei der APA handelt es sich um einen Berufsverband von amerikanischen Psychologen, die im August 2018 Guidelines veröffentlicht zur Behandlung mit Männer und Jungs in der Psychologischen Praxis [6]. Dabei handelt es sich nicht um Leitlinien, die zum Beispiel in der Klinik befolgt werden müssen (wie z.B. das DSM V oder das ICD-10), sondern lediglich um den derzeitigen wissenschaftlichen Stand und Ratschlägen wie man mit spezifisch männlichen Problemen im therapeutischen Alltag umgehen kann. Sehr ähnliche Manuals wurden von der APA die Jahre vorher ebenfalls veröffentlicht zu den Gruppen: Ethnische Minderheiten, Transgender und Gender non-conforming Personen, Frauen etc. Trotzdem gab es zum ersten Mal Kritik an diesem Verfahren erst als die Guidelines für Männer veröffentlicht wurden.

Der soziale Begriff der traditionellen Männlichkeit ist von dem Begriff der Weiblichkeit viel weiter entfernt als die biologischen Begriffe der beiden Geschlechter. Ein Chromosom ist in einer riesigen kulturellen Kluft zwischen Männer und Frauen gemündet.

Doch was bedeutet nun toxische Männlichkeit? Toxisch ist ein externer Stoff, der einem zugefügt wird und negative Auswirkungen hat. Metaphorisch steht das für den äußeren Druck, das Wissen um das stereotypische Verhalten, das dir diktiert wann und wie du dich als Mann zu verhalten hast. Die Konsequenzen sind Unzufriedenheit mit sich selber und ein schlechter Umgang mit dem eigenen Umfeld, vor allem auch Frauen. Man unterdrückt seine eigentlich genuine Verhaltensweise und beugt sich dem Erwartungsdruck, nur in seltenen Fällen entsprechen alle gesellschaftlichen Attribute eines Mannes auch dem des Individuums.

Die eigene Unzufriedenheit mit diesem Rollenzwang lässt sich in der Psychologie und Psychiatrie gut beobachten. Es wird zwar in der Allgemeinheit angenommen, dass Männer mit Stress und psychischen Problemen besser umgehen können, doch obwohl doppelt so viele Frauen an Depressionen erkranken, sind Männer für drei- bis viermal mehr Suizide verantwortlich als Frauen, sie leiden häufiger unter Abhängigkeitserkrankungen und sind gewaltsamer [7].

Einer der ersten Psychologen, der sich mit diesem Thema beschäftigte, war Terry A. Kupers, der in Gefängnissen beobachtete, dass das schädliche Verhalten, das auf Grund der Erwartungshaltung des „Prison Code“ von vielen Insassen (90% der Häftlinge waren Männer) fast zwanghaft durchgeführt wurde, letztendlich zurückgeführt werden kann auf das Zusammenwirken von „sozial-regressiven männlichen Wesenszügen“ [8].

Außerdem besteht der Verdacht, dass Männer nicht halb so oft an Depressionen erkranken wie Frauen, sondern dass die männlichen Ausprägungen schwieriger erkannt werden, unter anderem da Männer weniger oft sich professionelle Hilfe holen gehen, wenn sie psychische Probleme haben, da es für Männer immer noch als Schwäche angesehen wird [7].

Typische männliche Eigenschaften wie Dominanz, Selbstständigkeit (Self-Reliance), Playboy sein, etc. konnten in Studien mit depressiven Erkrankungen korreliert werden [9].

Das Lexikon für medizinische Psychologie behauptet deswegen: „Androgyne Rollenbilder sind besser für die psychische Gesundheit als das klassisch dichotome Weiblich-Männlich. [10].“ Es handelt sich natürlich nicht um eine eindeutige Kausalität. Dies ist nicht auf jeden Fall anwendbar, nicht jedem Mann ist geholfen mit einem Perspektivenwechsel der Rollenbilder, wie die APA auch klar anerkennt in ihren Guidelines [6].

Umso erstaunlicher war die starke Kritik, die auch in akademischen Kreisen an den Guidelines geübt wurde.


3. Kritiker und die Zukunft der Männlichkeit


Gad Saad schrieb zum Beispiel einen Artikel in Psychology Today: „Weibliche Fiedlerkrebse und Hühner bevorzugen Männchen mit extravagant großen Krallen bzw. Schwänzen. Mutterschafe (weibliche Widder) paaren sich mit dem Widder, der den brutalen intrasexuellen Kopfstoßwettbewerb gewinnt. Sie belohnen gezielte Aggressionen, indem sie sexuellen Zugang gewähren. Unnötig zu erwähnen, dass es unzählige andere Beispiele für sexuelle Selektion gibt, die ich beschreiben könnte, aber ich vermute, dass Sie das Wesentliche verstehen. Zeigen Widder giftige Männlichkeit? Erliegen weibliche Geigenkrebse antiquierten Vorstellungen von Männlichkeit, wie sie vom Krabbenpatriarchat verkündet werden?“ [11] Trotz der kreativen Formulierung zeigt sich hier eines der häufigen Hauptprobleme der Kritiker. Oft handelt es sich bei Argumenten, die sich auf das Tierreich beziehen, um naturalistische Fehlschlüsse. Nur weil etwas in der Natur so stattfindet, müssen wir dies nicht als Norm nach der wir handeln sollten in unsere Gesellschaft übernehmen. Außerdem werden in den Guidelines und Studien nicht Männlichkeit per se kritisiert, wie mehrfach auch unterstrichen wird. Es gibt Formen von Männlichkeit, die nichts Toxisches an sich haben müssen.

Der Psychoanalytiker Jordan Peterson, dessen Hauptwerk „12 Rules For Life“ in ihrem Dogmatismus sehr an Kollegahs „10 Boss Gebote“ erinnert, behauptet sogar, dass er sich auf Grund der Guidelines schäme die gleiche Berufsgruppe zu vertreten wie die Herausgeber des Manuals. Es seien ideologische Werte (SJWs, Feminismus, etc.) und soziologischer Konstruktivismus, die diese Schrift motiviert hätten und Männlichkeit sei eher das, was in unserer heutigen Gesellschaft fehle. So gäbe es auch Depressionen häufiger bei Kindern in Haushalten, in denen der Vater nicht anwesend gewesen wäre. Jungs neigen eher zur Aggression, wenn keine führende männliche Hand sie leite. Das einzige, was die Guidelines erreicht haben, sei, dass die traditionellen Männer sich nun noch seltener zum Psychologen trauen würden [12]. Petersons Ideologie Kritik ist sicher nicht komplett verfehlt, in Kupers Studie verweist er auch auf den Begriff „hegemoniale Männlichkeit“, den er aus feministischen Schriften entnommen hat [8]. Doch auch Peterson scheint affektiert und aus Ideologie heraus zu argumentieren und das Konzept eines verantwortungsbewussten Vaters im Haushalt widerspricht nicht dem Problem der toxischen Maskulinität, ganz im Gegenteil.

Wer sich ebenfalls als Kritiker öffentlich äußerte war Philosoph Slavoj Zizek [13]. Er kenne mehr Frauen, die die Attribute der toxischen Männlichkeit verkörpern würden, vor allem in Krisenzeiten, so etwa wie Unterdrückung der Emotionen oder Risikobereitschaft. Diese seien eben in Stresssituation oft sogar lebensnotwendig, weil es die Umstände erfordern. Doch sind diese Eigenschaften nicht gerade erst dann toxisch, wenn sie in einem Kontext zu Erscheinung treten, wenn diese gerade nicht erfordert sind?

Georges Monbiot sagt im The Guardian: „Warum lieben so viel Männer Jordan Peterson und hassen die Gilette-Werbung? Wenn sie wirklich stark sind, müssen sie ihre Virilität doch nicht unter Beweis stellen.“ Männer beweisen gerade, indem sie sich vehement gegen Toxic Masculinity wehren, wie fragil die eigene Maskulinität in Wirklichkeit ist [14].

Obwohl in Amerika die Diskussion um Toxic Masculinity kontroverser geführt wird als in Deutschland, ist amerikanischer Hip-Hop in seinen Rollenbilder um einiges progressiver als Deutschrap. Lil Nas X, der dieses Jahr mit dem Hit „Old Town Road“ auf Platz 1 der Charts landete, hat sich erst kürzlich geoutet, Young Thug und Asap Rocky tragen Schmuck und Kleider und gelten trotzdem als legitime Straßenrapper. In Deutschland gibt es nicht nur noch keinen homosexuellen Rapper (was statistisch eher unwahrscheinlich ist), kaum einer bricht auch mit den klassischen Rollenbildern. Es gibt Ansätze: Juicy Gay, Mc Smook (der sich auf seine eigene Art mit dem Thema durch die „Surviving Ehrenmänner“-Playlist auseinandergesetzt hat, z.B. [15]), Juse Ju (sein Song „Männer“), K.I.Z. gehen einmal im Jahr auf Tour nur für Frauen und verkleiden sich selber als Frauen. Doch im Vergleich zu Lil Uzi Vert oder Brockhampton bricht keiner sein Image auf und trägt seine Gender Fluidity offen nach außen. Brockhampton, die sich selber als Boyband bezeichnen, haben sogar eines ihrer Mitglieder Ameer Vann rausgeworfen, nachdem es zu Vorwürfen von häuslicher Gewalt bei ihm kam. Im Deutschrap leider nicht vorstellbar. Vielleicht sollte sich Deutschrap hier mal mehr, und in anderen Bereichen weniger von Amirap inspirieren lassen. Finger in den Po stecken.


Songauswahl

Luca:

Perkys von Money Boy

Keine Haftung von Brutos Brutaloz

Bodybag von Young M.A.

Moritz:

mg von Kalim

Plus putes que toutes les putes von Orties

Nichts gemeinsam von NMZS & Danger Dan



Quellen:

[7] Iwamoto, D. K., Brady, J., Kaya, A., & Park, A. (2018). Masculinity and Depression: A Longitudinal Investigation of Multidimensional Masculine Norms Among College Men. American Journal of Men’s Health, 1873–1881. https://doi.org/10.1177/1557988318785549

[8] Kupers, T. A. (2005), Toxic masculinity as a barrier to mental health treatment in prison. J. Clin. Psychol., 61: 713-724. doi:10.1002/jclp.20105

[9] Wong, Y. J., Ho, M.-H. R., Wang, S.-Y., & Miller, I. S. K. (2017). Meta-analyses of the relationship between conformity to masculine norms and mental health-related outcomes. Journal of Counseling Psychology, 64(1), 80-93.

[10]



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